10/24 [Architektur] Tegel sehr viele – insbesondere WestBerliner – haben die Symphonie startender und landender Flugzeuge, Durchsagen und LautsprecherAufrufe und der entspannten Hektik des Oktagons noch im Ohr
ebenso der verwehte Geruch von Kerosin
Abflüge, Ankünfte, Abschiede und Wiedersehensfreude, der kurze Weg aus der Maschine zum Flughafenbus und nach Hause, Nachmittage auf der Aussichtsterrasse - jede und jeder hat so seine ganz persönlichen Erinnerungen an den früheren HauptstadtFlughafen
doch das gehört jetzt der Vergangenheit an
die Zukunft: Wohnquartier, Hochschule, Smart City, Landschaftspark, Forschung und Industrie für urbane Technologien - alles in allem: ein in Europa, wenn nicht sogar weltweit einzigartiges Projekt
und heute?
das Hauptgebäude wird entkernt, das Vorfeld auf Munition hin untersucht, ein Startup nutzt das Vorfeld als Teststrecke für autonomes Fahren, neben dem Tower steht eine Zeltstadt für knapp 8.000 Geflüchtete – und vor 50 Jahren wurde der Flughafen TXL eröffnet
(die Freiflächen kann derzeit man im Rahmen einer zweistündigen Führung mit vielen interessanten Details begehen)
06/24 [Energie] Klettwitz Ein tiefes, ein dunkles Grummeln, auch in großer Entfernung und – je nach Witterung – mal lauter, mal leiser, ständig zu hören, vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche: so in etwa lässt sich das Geräusch der Abraumförderbrücke F60 beschreiben. Die Ausmaße der Stahlkonstruktion sind gigantisch: mit einer Länge von 502 Metern, einer Breite von 204 Metern, einer Höhe von 80 Metern und einem Gewicht von 13.500 Tonnen zählt die "F60“" zu den größten beweglichen technischen Arbeitsmaschinen weltweit. Über dreißig Jahre ist es her, dass im Braunkohletagebau Klettwitz-Nord im 3-Schicht-Betrieb das "schwarze Gold" zur Energiegewinnung gefördert wurde. Um zur eigentlichen Kohle zu gelangen, musste die Erde über dem Flöz, der Abraum, weggebracht werden: zusammen mit riesigen EimerkettenBaggern konnten so in der Stunde etwa 30.000 Kubikmeter abgeräumt werden: das entspricht etwa dem Volumen eines 8 Meter hoch aufgefüllten Fußballfeldes … Heute ist der „Liegende Eiffelturm“ nicht nur Industriedenkmal, sondern auch eine weithin sichtbare Landmarke für den Strukturwandel in der Region. Fachkundige Führungen bieten nicht nur einen – im wahrsten Sinne des Wortes – atemberaubenden Blick aus knapp achtzig Metern Höhe, sondern vermitteln auch einen lebendigen Einblick in den damaligen Arbeitsalltag im Braunkohlerevier Klettwitz. Beliebt ist die einzigartige Location auch für Konzerte, Festivals oder FreiluftKino – und neuerdings können am Bergheider See auch Ferienwohnungen mit Blick auf die F60 gemietet werden.
03/24 [Geschichte] Stasi-Sonderhaftanstalt Bautzen "Man war eingesperrt, hatte Regeln zu befolgen, mich an Vorgaben zu orientieren, die man nicht bestimmen konnte – Einschränkungen jedweder Art auf engstem Raum. Ich schätze mal so eine Zelle hatte acht Quadratmeter, und dann zu zweit und mit Sicherheit 14 Stunden pro Tag immer mit den selben Leuten, immer in derselben Zelle ist nicht einfach." (Gerhard Valdiek, verurteilt wegen Republikflucht zu zwei Jahren und vier Monaten.) ///// "Morgens so gegen fünf wurde die Zellentür aufgemacht – sie haben keine Augen mehr, sie haben Ohren. Man hört mehr als man sieht. Der Körper stellt sich so ein. Da musste ich Meldung machen: keine besonderen Vorkommnisse - das war eben Vorschrift. Und dann haben wir unsere Zelle gereinigt, haben uns angezogen und um sieben wurden die Zellen geöffnet." (Sigurd Weber, verurteilt wegen Spionage im schwersten Fall zu einer lebenslangen Haftstrafe.) ///// "Die Arrestzellen - hinten gibt es einen Käfig, der so zwei mal zwei Meter ist, da ist auch das Klappbett drin, und die Tür: du konntest nicht auf Klo, konntest kein Wasser trinken. Du kriegst drei Scheiben trocken Brot am Tag, jeden dritten Tag was Warmes zu essen. Dann bist Du den ganzen Tag in diesem Gitterraum. Du konntest umherlaufen, so im Kreis oder auf dem Hocker sitzen, fertig." (Manfred Matthies, verurteilt zu 13 Jahren und 9 Monaten wegen Fluchthilfe.) ///// Im Jahr 1956 richtete das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in Bautzen II einen Hochsicherheitstrakt mit 200 Haftplätzen für Regimekritiker, Gefangene aus Westdeutschland, Spione oder Kriminelle mit prominenten Status ein. Bis Dezember 1989 waren hier 2.350 Menschen inhaftiert, darunter 90 Frauen.
03/24 [Architektur] Görlitz Ein paar Namen vorweg: Tilda Swinton, George Clooney, Kate Winslet, Bill Murray, Emma Thompson, Jude Law, Christoph Waltz und Jeff Goldblum – die Liste der Schauspielerinnen und Schauspieler ist das "Who Is Who" der internationalen Filmszene. Sie alle und natürlich noch viele mehr waren schon einmal in Görlitz, um einen Film zu drehen. Durch den glücklichen Umstand, dass die ehemaligen Tuchmacherstadt an der Neiße den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschadet überstanden hat, wurden in der Altstadt seit den 1950er Jahren weit mehr als 100 Filme gedreht, darunter auch internationale Produktionen wie "The Grand Budapest Hotel", "Der Vorleser" oder "Monuments Men" – aber auch die deutsche Krimi-Serie "Wolfsland" ist hier für Dreharbeiten regelmäßig zu Gast. Zur Unterstützung wurde in "Görliwood" eigens ein Filmbüro eingerichtet, die vor zwei Jahren gegründete Filmakademie bietet unter anderem Kurse in Assistenz Kamera + Licht sowie Seminare zu Filmausstattung und Set-Design an. Und wer weiß, wem Du bei Deinem nächsten Besuch in der Görlitzer Altstadt zufällig über den Weg läufst?
02/24 [Geschichte] Frauenkirche Im Februar 1945 wurde die Altstadt und auch die Frauenkirche von Dresden durch Luftangriffe der Royal Air Force und der US Air Force weitestgehend zerstört; mit diesem Bombardement versuchten die Alliierten den Druck auf das nationalsozialistische Deutsche Reich zu verstärken und den Zweiten Weltkrieg zu beenden. Seit ihrem Wiederaufbau vor zwanzig Jahren gilt das die Frauenkirche heute als das Symbol für Frieden und Versöhnung. So bildet sich seit mehr als zehn Jahren am Abend des 13. Februar eine Menschenkette schützend vor rechtsextremistischen Veranstaltungen rund um die Altstadt, das Gotteshaus am Neumarkt zeigt an der Fassade ein klares Bekenntnis für Demokratie und gegen Rechtspopulismus. Im Hauptkirchraum treten Vertreter*innen der Stadtgesellschaft unter dem Motto "Wir haben die Wahl" öffentlich ein für freie Wahlen, Rechtsstaatlichkeit, Zivilcourage, Streitkultur, Pluralismus, Meinungsfreiheit, Verantwortliches Wirtschaften und Partizipation. Tagtäglich um 12 Uhr mIttags erinnert die Friedensglocke vom Turm der Frauenkirche die Dresdner*innen an die freiheitlichen Werte unserer Gesellschaft – gerade im Wahljahr 2024 ein klares und wichtiges Bekenntnis.
02/24 [Kultur] Berlinale Abrupt wird die fröhliche Best-Of-Playlist der Gala unterbrochen, auf dem überdimensionalen Monitor leuchtet in weißen Buchstaben auf schwarzem Grund "Democracy. Defend." Schweigend und Hand in Hand schreiten rund fünfzig deutsche Filmschaffende den Roten Teppich entlang zum Theater am Potsdamer Platz. Vor dem Eingang des Berlinale Palasts bleiben die Schauspieler*innen und Regisseur*innen stehen und zitieren zum Schein ihrer Handy-Taschenlampen immer wieder diesen Slogan. Diese, von der FestivalLeitung initiierte Aktion war eine von mehreren klaren Bekenntnissen zu Freiheit und Demokratie zur Eröffnung der Berlinale. Und wie jedes Jahr startete die 74. Ausgabe des Filmfests mit den Schaulauf zahlreicher Stars und Prominenter: Emilia Schüle, Matt Damon, Cillian Murphy, Jella Haase, Toni Garn, Christian Friedel, Hannah Herzsprung, Jürgen Vogel, Natalia Belitski, Lupita Nyong’o, Florence Kashumba, Papis Loveday (ein großes Pappschild mit der Aufschrift "NO RACISM ! No AFD !" In der Hand), Pheline Roggan (trug eine Kette mit der Inschrift "FCK AFD" um den Hals), Jessica Schwarz, Lars Eidinger (erfüllte eine halbe Stunde lang beinahe jeden Autogramm- und SelfieWunsch), Heike Makatsch, Riccardo Simonetti, Karl Lauterbach, Caro Daur, Franziska Giffey, Kai Wegner, Millane Friesen, Fatih Skin, Sibel Kekilli, Lilith Stangenberg, Claudia Roth, und, und, und, … natürlich dem Leitungsteam-Duo Mariette Rissenbeck und Carlo Chatrian.
02/24 [Kunst] Tieranatomisches Theater Auf den ersten Blick hat es den Anschein als beobachten dich unzählige Augäpfel, die abwechselnd in unterschiedlichen Farben aufleuchten; doch im zweiten Moment hört man die akustischen Signale, Klänge einer Installation von Tim Otto Roth mit dem Titel "Theatre of Memory": 70 kugelrunde Lautsprecher formen durch verschiedenartige Interaktionen rhythmische Tonfolgen, die durch akustische Entladungen abrupt enden. Das Klangnetzwerk gleicht einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung, die keinen geeigneteren Ort finden konnte als den Seziersaal im Tieranatomischen Theater auf dem Campus der Charité in Berlin-Mitte. Der relative enge, steil aufsteigende Hörsaal diente vor mehr als zweihundert Jahren zur Ausbildung der "Roßärtze" und gilt heute als Wahrzeichen des preußischen Klassizismus. Genutzt wird das älteste noch erhaltene Lehrgebäude Berlins mittlerweile für Veranstaltungen und Ausstellungen – bei freiem Eintritt lohnt sich auch ein mehrmaliger Besuch ins "Theater des Gedächtnisses" …
01/24 [Freizeit] Park am Gleisdreieck Tischtennis spielen, Skaten, Geburtstag feiern, Schaukeln, Rutschen und Sand spielen, Hund ausführen, Boxtraining, Spazierengehen, Morgen- oder AbendJoggen, Frisbee werfen, Chillen, Picknicken, in der Sonne liegen, Boule spielen, Feiern, Linedance, Walken, Trampolin springen … – erst vor etwas mehr als zehn Jahren eröffnet, erfreut sich die ehemalige Brachfläche des Anhalter und Potsdamer Güter-Bahnhofs größter Beliebtheit und in den Sommermonaten gibt es kaum eine Stunde, in der die Parkanlage in Kreuzberg Zeit für Erholung hat. Von den ersten Jogger*innen zum Sonnenaufgang bis zu den jungen Leuten, die weit nach Mitternacht wieder nach Hause aufbrechen – der Gleisdreieckpark bietet Jung und Alt Raum für verschiedenste Aktivitäten an. Jetzt am Vormittag ist es allerdings etwas ruhiger: Temperaturen um den Gefrierpunkt und Schnee hüllen den etwa 30 Hektar großen "Urbanen Raum" in eine winterliche Ruhe: ein paar Spaziergänger*innen, Mütter mit Kinderwagen, Vogelgezwitscher und hoch oben auf der Trasse zieht die U2 quietschend ihre weite Kurve Richtung Bülowstraße …
01/24 [Kunst] Neue Nationalgalerie Wie Figuren eines überdimensionalen Schachbrett liegen die quadratischen Granitplatten aus der Normandie auf dem Fussboden der Haupthalle verteilt – vierzig Stück, eins zwanzig auf eins zwanzig, das Format der Bodenplatten aufgreifend. Jede dieser Steinplatten ist verschieden in der Struktur, Farbigkeit und Oberflächenrelief. Als Besucher*in ist man Teil der Installation, jeder Schritt ein "Schachzug", der das Spiel verändert, immer wieder neue Raumkonstellationen mit sich bringt. Die Arbeit stammt von Ulrich Rückriem, aktuell zu Ehren seines 85. Geburtstages für knapp vier Wochen in der Neuen Nationalgalerie in Berlin-Tiergarten wieder eingerichtet. Das Gebäude am Kulturforum, entworfen von Ludwig Mies van der Rohe und 1968 eröffnet, gilt als Ikone der Klassischen Moderne. Die bedeutende Sammlung des Hauses umfasst europäische Malerei und Plastik des 20. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre. Es zeigt sich zu jeder Tageszeit und in Abhängigkeit von Wetter und Jahreszeit in einer anderen Anmutung: mal scheint das überragende Dach zu schweben, mal verschmilzt die Architektur regelrecht mit der umliegenden Stadtlandschaft – und nicht nur das Haus, sondern vor allem auch die ausgestellten Kunstwerke.
01/24 [Natur] Niechorze Rollend, schaumig, bewegt, rhythmisch, brechend, glatt, tosend, zerzaust, kräuselnd, wild, sanft, schäumend, gischtig … – jeden Tag bietet die Ostsee ein neues MeeresSchauspiel. Einfluss auf diese Inszenierung haben Wind, Wetter, Jahreszeit, Temperatur und Gezeiten. Heute, Anfang Januar ist es sehr ruhig am Strand von Niechorze, die vereinzelten und wenigen Spaziergänger*innen sind allesamt warm und winddicht in dicke Jacken und Mänteln eingepackt. Das Thermometer am Strand zeigt gerade mal ein Grad, die Wassertemperatur beträgt 4 Grad; die Sicht ist gut, der kalte und teilweise recht böige Wind aus NordOst lässt die Mütze noch tiefer ins Gesicht rutschen. In einer Stunde, um kurz nach zwölf ist Niedrigwasser – danach steigt die Ostsee wieder an – allerdings beträgt der Unterschied zwischen Ebbe und Flut aktuell gerade mal zehn Zentimeter. Die Wellen kommen heute aus Norden, etwa alle 5 Sekunden und mit einer Höhe von vielleicht einem halben Meter. Weit hinten steht ein Angler in der Brandung und versucht sein Glück – doch laut Angelkalender ist er zu spät aufgestanden: die größte Aktivität der Fische und höchste Wahrscheinlichkeit auf einen guten Fang war heute zum Sonnenaufgang zwischen sieben und neun Uhr morgens. Lange sind die meisten Leute an diesem Tag nicht draußen unterwegs: den Hund ausführen, frische Luft schnappen, am Strand joggen oder walken, ein oder mehrere Blicke aufs Meer hinausschauen, der Brandung lauschen und dann wieder nach Hause ins Warme. Und mal sehen, wie die See morgen aussehen wird: stürmisch, mächtig, donnernd, ruhig, spiegelnd …
12/23 [Architektur] Rathaus Schöneberg "Sti-ille Na-cht, hei-lige Na-cht" – pünktlich um vier und zur Dämmerung am Heiligen Abend erstrahlen die Lichterkerzen an den beiden Weihnachtsbäumen vor dem Schöneberger Rathaus. Trotz des nasskalten Regenwetters ist der Vorplatz gut gefüllt: Anwohnende, Familien, Freunde, Bekannte, Nachbarn, Verwandte und Besucher*innen stehen dicht gedrängt zwischen den Pfützen und erwarten mit Vorfreude das mittlerweile schon traditionelle Weihnachtssingen. Nach der Begrüßung durch den Bezirksbürgermeister stimmen alle Anwesenden, begleitet vom Horn-Tuba-Quintett Berlin und geleitet von der Sängerin Nastassja Nass das erste Lied an: „O du fröhliche, o du selige …“ Für die nicht so Textsicheren liegen gedruckte Liederhefte bereit; ein QR-Code bietet die Texte auf dem Smartphone. Das Repertoire umfasst die bekanntesten Weihnachtslieder von "O Tannenbaum", "Fröhliche Weihnacht überall", "Leise rieselt der Schnee", "Jingle Bells", bis "Es ist ein Ros entsprungen" und "Hört der Engel helle Lieder". Nach gut einer Stunde nähert sich das Singen seinem Höhepunkt: "Stille Nacht, heilige Nacht". Laut und leise, hoch und tief hallen die drei Strophen über den John-F.-Kennedy-Platz vor dem Rathaus. Nach einer festlichen Stille strömen die Anwesenden, begleitet von den Klängen der Freiheitsglocke in alle Himmelsrichtungen auseinander – ins Warme und Trockene nach Hause, zu Bescherung und Weihnachtsessen.
12/23 [Architektur] Marienkirche "Der Aufstieg birgt Anstrengungen. Jeder muß einschätzen, ob er dem Aufstieg gewachsen ist. Gesundheitlich geschädigte Menschen, insbesondere Menschen mit Herz- / Kreislauferkrankungen wird vom Aufstieg abgeraten." steht unter Punkt acht der Turmordnung auf der langen Holztafel neben der niedrigen Tür zum Turmaufgang. Die Steinstufen der engen Wendeltreppe sind steil und unregelmäßig ausgetreten, der Handlauf an der Wandseite verrostet und feucht. Nach unzähligen Runden tritt man ganz unvermittelt in den hölzernen Glockenstuhl: die größte der drei Glocken stammt aus dem Jahr 1663, wiegt fünf Tonnen bei einem Durchmesser von 201 cm und ist auf den Schlagton "as" gegossen; die beiden Kleineren sind weitaus jünger und klingen in "c" und "es". Das letzte Drittel zur Turmplattform steigt man über Holztreppen und Leitern hinauf in den immer enger werdenden Giebel, vorbei an Inschriften von "Rainer, Alexander und Walter waren ohne Katrin hier oben" oder "Paul + Fiona" versehen mit einem Herz und Datum. Auf der Aussichtsplattform erwarten einen heute typisches Ostseewetter: peitschender Regen und stürmische Windböen, doch die Aussicht in 90 Metern Höhe ist einfach grandios: die Dächer der Altstadt von Stralsund, alte und neue Rügenbrücke, Altefähr, Dänholm, und, und , und …. Der Aufstieg über die 366 Stufen auf den Turm der Marienkirche kostet fünf Euro, Kinder und Studenten zahlen zwei Euro; geöffnet in den Wintermonaten täglich von 11:00 bis 15:00 Uhr (letzter Aufstieg 14:30 Uhr).
08/23 [Bergbau] Halde Rungenberg Schon von weitem sichtbar, im Norden der Stadt Gelsenkirchen, liegt eine der markantesten Landmarken im gesamten Ruhrgebiet: die Halde Rungenberg. Über weit geschwungene Wege geht es hinauf auf 115 Meter über dem Meeresspiegel. Die charakteristische Form erhielt diese nach einem Entwurf des Schweizer Architekten Rolf Keller: auf einem quadratischen Grundriss ragen zwei Dreiecks-Pyramiden in die Höhe, schwarzer Abraum aus dem vor über zwanzig Jahren stillgelegten Bergwerk "Ewald-Hugo". Die Aussicht auf dem Gipfel ist grandios: Gelsenkirchen, die Veltins-Arena auf Schalke, die Halden Oberscholven und Beckstraße und der Landschaftspark Hoheward – bei klarem Wetter reicht der Blick auf dem beliebten Freizeitgelände sogar bis nach Essen. Kaum bekannt ist allerdings, dass es sich bei der Rungenberg Halde um eine brennende Halde handelt, in deren Inneren Schwelbrände lodern. Ausgelöst werden diese durch "Taubes Gestein", wertloses Abraummaterial, das über einen geringen Kohleanteil verfügt. Aktuell erforschen Pilotprojekte, diese Energie geothermisch zu nutzen; da sich die Brandherde allerdings in Bewegung befinden, gestaltet sich dies bisher schwierig … Ein weiteres Highlight zeigt sich bei Dunkelheit: eine Lichtskulptur auf der Spitze zeichnet dann, weithin sichtbar, eine weitere Pyramide in den Abendhimmel über der Halde.
07/23 [Landwirtschaft] Wesenberg Drehen Sonnenblumen im Laufe des Tages ihre Blüte? Eine Frage, die sicherlich auch schon in der "Sendung mit der Maus" gestellt wurde. Die krautartige, einjährige Pflanze gehört der Familie der Korbblütler an und erreicht eine Höhe von etwa zwei Metern. Die Kerne enthalten bis zu 40 Prozent Eiweiß und besitzen einen Ölanteil von etwa 50 Prozent. Blütenblätter finden in der Medizin und der Kosmetik Verwendung. Infolge des Ukrainekrieges und der steigenden Preise für Pflanzenöl wurden auch in Deutschland vermehrt Sonnenblumen angepflanzt. Nach einem Bericht des Statistischen Amtes Mecklenburg Vorpommern stieg der Anbau im letzten Jahr um knapp 150% Prozent. Auch in diesem Jahr wird eine weitere Steigerung der Anbaufläche erwartet. Dies hilft einerseits, die Preise für Sonnenblumenöl stabil zu halten, andererseits freuen sich Naturliebhaber*innen nicht nur im Nationalpark Müritz an den weiten gelbblühenden Feldern. Ach ja, eine Antwort steht noch aus: Junge Pflanzen folgen tagsüber dem Stand der Sonne und drehen sich nachts wieder zurück nach Osten. Sobald sich der Blütenkorb öffnet, endet diese Drehbewegung, da die Morgenwärme mehr Bienen anzieht und sich die Pflanze besser vermehren kann.
06/23 [Sport] Hanns-Braun-Stadion Der Beginn verläuft ohne Komplikationen, alle Läufer*innen verlassen auf ihren Laufbahnen die Startblöcke. Auch der erste Wechsel nach 100 Metern geschieht ohne nennenswerte Vorkommnisse – bei der zweiten StaffelÜbergabe findet der an dritter Position laufende Sprinter seinen Teamkollegen nicht – egal - er läuft erst einmal weiter, bis er von einem Volunteer wieder zurück in die vorgeschriebene Zone geschickt, den Stab dann doch regelkonform übergibt. Beim letzten Wechsel ist das Feld schon weit auseinander gezogen, das siegreiche Team schon längst über der Ziellinie, bevor die zurückliegende Athletin, lautstark angefeuert von begeisterten Zuschauenden, sich auf die letzten 100 Meter begibt. Am vorletzten Tag der Special Olympic World Games stehen im Berliner Hanns-Braun-Stadion die Halbfinals der 4x100 Mixed Staffeln auf dem Programm. Hundertstel, Zehntel oder Sekunden stehen nicht im Fokus, ebenso wie Frisuren oder die Farbe der Laufschuhe: "Dabeisein ist Alles" oder #TogetherUnbeatable. Es macht einfach großen Spaß, diese Sportler*innen aus aller Welt bei Ihren Wettkämpfen zu erleben und sie anzufeuern …
06/23 [Umweltverschmutzung] Groß Neuendorf Das mit August 2022 datierte Schild des Bürgermeisters hängt, eingeschweißt in Plastik mit Kabelbindern am Eingangstor zur Anlegeplattform im Hafen von Groß Neuendorf: "Aktuell ist in der oder zwischen Finkenheerd und Genschmar aus ungeklärten Ursachen ein Fischsterben zu beobachten. Solange keine belastbaren Informationen über die Ursachen, die Konzentration an den unterschiedlichen Flussabschnitten und mögliche Gefahren bekannt ist, empfiehlt der Landkreis Märkisch-Oderland den Kontakt zu Oderwasser vorsorglich zu meiden (Verzehr von Fisch, die Nutzung des Wassers oder das schwimmen von Hunden etc.)". Als Ursache für diese Umweltkatastrophe, bei der etwa 400 Tonnen Fische, Biber, Enten und andere Vögel in und an der Oder verendeten, wurde die "Algenblüte" ausgemacht, ausgelöst durch die illegale Einleitung äußerst salzhaltiger Abwässer in den deutsch-polnischen Grenzfluss. Der oder die Täter konnten bis heute nicht ausfindig gemacht werden. Nach der Erholung der Wasserqualität in den letzten Monaten, vermelden die Zeitungen aktuell erneut tote Fische in zwei Kanälen des Wasserweges …
05/23 [Logistik] Ruhrorter Häfen "Pünktlich um 13:30 startet die "Gerhard Mercator" am Schwanentor in der Innenstadt die große Rundfahrt durch den Duisburger Hafen. Kurz vor der Mündung der Ruhr, bei Rheinkilometer 780 beginnt der größte Binnenhafen Europas: auf einer Wasserfläche von mehr als 180 Hektar und rund 40 Kilometer Uferlänge wurden von mehr als 200 Firmen im letzten Jahr knapp 42 Millionen Tonnen Fracht umgeschlagen. Duisburg ist somit für die wichtigste Verkehrsdrehscheibe der deutschen Binnenschifffahrt. Um auch zukünftig ganz vorne mitspielen zu können, fand im Februar 2022 der erste Spatenstich für einen klimaneutralen Hafenbetrieb statt. Auf der früheren Kohleinsel soll dann das größte Containerterminal im europäischen Binnenland entstehen. Die dafür benötigte elektrische Energie wird dann mittels Brennstoffzellen und Blockheizkraftwerken vor Ort aus Wasserstoff hergestellt. Anfang 2024 soll dieses Leuchtturmprojekt seinen Betrieb aufnehmen. … Nach gut zwei Stunden ist das Ausflugsschiff wieder zurück in der Duisburger Innenstadt – zwei, drei souveräne Anlegemanöver und der Kapitän schaltet die beiden Maschinen ab – aktuell noch dieselbetrieben – aber vielleicht auch schon bald klimaneutral.
05/23 [Sport] Lichterfelde "NO RACISM" steht in blauen Versalien auf den weißen Trikots. Der für sein Engagement vielfach ausgezeichnete Fußballverein aus Berlin Schöneberg vereint Menschen mit Wurzeln aus über 70 Nationen und setzt sich ein für ein friedliches Miteinander über kulturelle, religiöse und weltanschauliche Grenzen hinaus. Neben den gesellschaftspolitischen Intentionen stehen beim "FC Internationale" natürlich auch die sportlichen Ziele im Fokus des Amateurvereins: beim diesjährigen "defendo Pokal" des Berliner FußballVerbandes erreichten die Senioren der Ü32 und der Ü60 die Finalspiele, ausgetragen an Christi Himmelfahrt im Stadion Lichterfelde. Am spannendsten war die Begegnung der Über Sechzigjährigen gegen die NSF Gropiusstadt: das Eins zu Null des Gegners konnte Inter Berlin zwei Minuten später und noch vor der Halbzeitpause ausgleichen. Jeweils ein verwandelter Elfmeter führte in der zweiten Hälfte zum zwischenzeitlichen Zwei zu Zwei, ehe ein Eckball kurz vor dem Schlusspfiff die Entscheidung herbeiführte: Der "FC Internationale" gewann und verteidigte den Pokalerfolg vom letzten Jahr. Beim anschließenden Feiern waren den Spielern die kräftezehrenden 60 Minuten dann kaum mehr anzumerken.
04/23 [Atomkraft] Niederaichbach Eine Minute vor Mitternacht endet eine Ära: gegen Mittag werden erste Bereiche der Anlage – wie etwa der Zwischenüberhitzer – aus dem Betrieb genommen; schon jetzt wird weniger Energie in das Stromnetz eingespeist. Am Abend sind die Ventile, die den Dampf zur Turbine regulieren weiter gedrosselt und die Leistung im Reaktor nimmt kontinuierlich ab. Etwa eine Stunde vor Mitternacht sind diese komplett geschlossen und der Stromgenerator wird endgültig von Netz getrennt. Gleich im Anschluß erfolgt der alles entscheidende Moment: der rote, mit "ReSa" (Reaktorschnellabschaltung) bezeichnete Knopf schaltet den Reaktor ab. Nach mehr als 60 Jahren ist damit des Ende des Atomzeitalters in Deutschland besiegelt. Das AKW "Isar 2" geht als vorletztes vom Netz, kurz darauf, am 15. April 2023 um 23:59 Uhr wird das Kernkraftwerk Neckarwestheim abgeschaltet. Tags darauf sieht man lediglich eine kleine weiße Wolke aus dem Kühlturm steigen, die nach und nach versiegt …
03/23 [Krieg und Frieden] Siegestor Über 600.000 Soldaten versammelten sich im Oktober 1813 bei Leipzig zur wahrscheinlich größten kriegerischen Auseinandersetzung des 19. Jahrhundert: nach drei Tagen war Napoleon Bonaparte geschlagen, 92.000 Männer getötet oder verwundet und die entscheidende Schlacht der Befreiungskriege beendet. Zur Erinnerung an diesen Sieg, errichtete Ludwig I. in München ein Ehrenmal mit der Inschrift "DEM BAYERISCHEN HEERE". Das monumentale Bauwerk zwischen Ludwig- und Leopoldstraße wurde im 2. Weltkrieg durch Luftangriffe schwer beschädigt; nach Ende des Krieges entschloß man sich, das Siegestor bewusst vereinfacht wieder aufzubauen. Mit der Inschrift "DEM SIEG GEWEIHT VOM KRIEG ZERSTÖRT ZUM FRIEDEN MAHNEND", die auf der Südseite hinzugefügt wurde, erhielt der klassizistische Triumphbogen eine neue symbolische Bedeutung, die eines Friedensmahnmals – an "Tag 392" des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine halten auch die erbitterten Kämpfe um Bachmut unvermindert an: die Anzahl der Toten und Verwundeten seit Beginn des Krieges vor einem Jahr liegt schon jetzt in einem niedrigen sechsstelligen Bereich, vermuten Experten.
03/23 [Kohle] Bankenviertel Die Zahlen: Im 3. Quartal 2022 stammten 36,3% des ins Stromnetz eingespeisten Stroms aus Kohlekraftwerken, eine Zunahme gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 13,3%. Auch die Stromerzeugung aus Erdgas war – trotz hoher Preise – um 4,5% höher als im gleichen Zeitraum 2021. Insgesamt wurden im 3. Quartal 118,1 Milliarden Kilowattstunden Strom ins Netz eingespeist (0,5% weniger als im Vorjahr), davon fielen 57% auf konventionelle Energieträger, auf erneuerbare 43% – so das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die damit verbundene Energiekrise haben die Energie- und klimapolitischen Pläne der Bundesregierung in Frage gestellt und so wurden im letzten Jahr in Deutschland insgesamt 19 Braun- und Steinkohlekraftwerke aus der sog. "Netzreserve" vorübergehend wieder reaktiviert. Einen Teil der dafür benötigten Steinkohle wurde und wird weiterhin von den Häfen an der Nordsee durch die Binnenschifffahrt über die Wasserstraßen des Landes ans Ziel gebracht, auch über den Main, am Bankenviertel in Frankfurt vorbei …
02/23 [Wohnen] Wustrow Drei bis vier Fussballfelder – soviel Erntefläche wird benötigt für das Dach eines Einfamilienhauses. Reet, Schilf oder Schilfrohr, (lat. Phragmites Australis) ist schon seit Jahrtausenden beliebter Naturbaustoff für Reetdachhäuser. Die Eigenschaften der Sumpfpflanze sprechen dabei für sich: äusserst robust, überaus elastisch und extrem wasserabweisend – zudem ist das "Gemeine Schilfrohr" schnellwachsend, wasserreinigend und dient als Biotop für Insekten und Vögel. In Bündeln geschnürt wird das getrocknete Schilf als Dach verbaut, wobei eine unterliegende Luftschicht die Konstruktion mit ausreichend Frischluft versorgt und so ein angenehmes Raumklima wie auch eine optimale Isolierung garantieren. Nachteilig sind hohe Baukosten und großer Pflegeaufwand – dann allerdings kann ein Reetdach auch schon mal 40 Jahre alt werden. Die ersten Häuser dieser Bauweise findet man bereits 4000 v. Chr. Die Reetdachdeckerei ist einer der ältesten Handwerkstechniken in der Architektur und wurde 2014 in die Liste der UNESCO als "immaterielles Kulturerbe" aufgenommen.
02/23 [Gletscher] Südlicher Schneeferner "Es passiert schneller als wir dachten", sagt Gaziologe Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut. Der Südliche Schneeferner ist in den letzten siebzig Jahren um 95% auf etwa einen Hektar geschrumpft; die Eisdicke, früher mehr als 10 Meter misst heute in weiten Teilen weniger als zwei Meter. Durch die hohen Temperaturen im Sommer sowie den geringen Schneefall im Winter hat die Eismächtigkeit drastisch abgenommen. Der Winterschnee schmilzt auf der Zugspitze inzwischen innerhalb eines Sommermonats komplett weg. In den 1990er Jahren versuchte ein Forschungsprojekt der TU München durch Auftragen von riesigen LKW-Planen, den Gletscherschwund auf dem Zugspitzplatt aufzuhalten oder zu verlangsamen – keine 20 Jahre später wurde der Versuch des "Snowfarming" wegen Erfolglosigkeit eingestellt. Im Herbst 2022 schließlich stufte die Bayerische Akademie der Wissenschaften den Südlichen Schneeferner wegen des massiven Rückgangs nur noch als "Toteis", und nicht mehr als "Gletscher", da sich die noch verbliebene Eismasse nicht mehr bewege.